Patrick Modiano: Im Café der verlorenen Jugend (II)
Kampf um die Bedeutungshoheit
1. Versuch:
Literaturgeschichtlich dürfte die Vermutung, dass sich Modiano von Henri Murgers Roman „Szenen aus dem Leben der Bohème“ anregen ließ, nicht unbegründet zu sein. Roland ähnelt dem Puccini-Rodolfo und Mimi (eigentlich Lucia) erlebt eine tuberkulosefreie Wiedergeburt in Louki. Auch das örtliche Umfeld ist ja das gleiche. Am Ende beider Romane steht der Tod der weiblichen Hauptfigur und ein zutiefst unglücklicher Geliebter bleibt allein gelassen zurück.
Mehr als das historische Vorbild verdienen aber die epischen Formexperimente Beachtung. Viele Autoren scheuen sich, als Erzählform die Ich-Form zu wählen, da sie lieber über die subjektiv begrenzte Darstellungsweise hinausgehen möchten. Andererseits wird beim Leser der allwissende Erzähler oft als zu selbstherrlich angesehen. Er will häufig belehren und wird so Opfer seiner eigenen Selbst-verehrung. Der moderne Leser möchte lieber mitdenken und sich seinen eigenen Spekulationen hingeben, als alles vorgesetzt zu bekommen. Inswofern ist es von Modiano ein raffinierter Schachzug, gleich vier Ich-Erzähler zu Wort kommen zu lassen.